Matthias Egger, Oliver Razum, Anita Rieder (Hrsg.)
Kap. 3.2
Die Gesundheitssysteme im deutschsprachigen Raum
Matthias Egger, Thomas Dorner, Beate Land, Nicole Steck
Als Gesundheitssystem bezeichnet man die Gesamtheit der Einrichtungen, deren Aufgabe es ist, die Gesundheit einzelner Menschen und die der gesamten Bevölkerung zu erhalten, zu fördern und wiederherzustellen sowie Krankheiten vorzubeugen. Gesundheitssysteme können sehr verschieden organisiert und finanziert werden. In diesem Kapitel vergleichen wir zuerst die Organisation, die Kosten und die Qualität der Gesundheitssysteme in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland. Wir beleuchten die Rolle, die der Staat in den jeweiligen Gesundheitssystemen übernimmt und betrachten die Organisation der medizinischen und pflegerischen Versorgung sowie Kosten, Vergütung und Finanzierung der Leistungen. Dabei gehen wir auch auf verschiedene Aspekte des Versicherungswesens ein.
Alte Schweizerische Lernziele: CPH 4, CPH 24
Profiles für das gesamte Kapitel 3:
GO 1.22, GO 1.24, GO 1.25, GO 2.5, GO 4.6 bis GO 4.8, GO 5.1, EPA 9
Auf dieser Seite finden Sie die in diesem Kapitel verwendeten Literaturquellen, Hinweise zu empfohlener Vertiefungsliteratur, ergänzende Tabellen und Boxen sowie weiterführende Internetquellen zum Thema.
Hofmarcher MM. Das österreichische Gesundheitssystem: Akteure, Daten, Analysen. European Observatory on Health care Systems. Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2013.
Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK; Hrsg.). Österreichische Gesundheitsbefragung 2019. Hauptergebnisse des Austrian Health Interview Survey (ATHIS) und methodische Dokumentation. Wien, 2020.
Prütz F, Rommel A. Inanspruchnahme ambulanter ärztlicher Versorgung in Deutschland. Journal of Health Monitoring, 2017; 2(4); DOI: 10.17886/RKI-GBE-2017-116
Rosenbrock R, Gerlinger T. Gesundheitspolitik. Eine systematische Einführung. 3. Aufl. Bern: Hans Huber, 2014
Schölkopf M, Pressel H. Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich. Gesundheitssystemvergleich, Länderberichte und europäische Gesundheitspolitik (Health Care Management). Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 3. Aufl. 2017
Schwinger A, Klauber J, Tsiasioti C. Pflegepersonal heute und morgen. IN: Jacobs K, Kuhlmey A, Greß, S, Klauber J, Schwinger A (Hrsg.). Pflege-Report 2019. Berlin/Heidelberg: Springer Verlag, 2019, S. 3-21
Simon M. Das Gesundheitssystem in Deutschland: Eine Einführung in Struktur und Funktionsweise. Bern: Hogrefe, 6. Aufl. 2017
Bachner F, Ladurner J, Habimana K, Ostermann H, Habl C. Das österreichische Gesundheitswesen im internationalen Vergleich. Wien: Gesundheit Österreich GmbH, 4. Ausgabe 2015
Busse R, Blümel M, Ognyanova D. Das deutsche Gesundheitssystem. Akteure, Daten, Analysen. Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2013
Sehr empfehlenswert für die vertiefende Beschäftigung mit den Gesundheitssystemen anderer Länder sind die als kostenlose PDFs im Internet veröffentlichten Länderberichte der Reihe „Health System Reviews“ des European Observatory on Health Systems and Policies.
Hier finden Sie u.a.
Busse R, Riesberg A. Gesundheitssysteme im Wandel: Deutschland. Kopenhagen: WHO Regionalbüro für Europa im Auftrag des Europäischen Observatoriums für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik, 2005.
In der Schweiz gab es von Mitte 2002 bis Ende 2011 einen Zulassungsstopp für neue Arztpraxen. Man wollte auf diese Weise die Kosten eindämmen, da jede neue Praxis die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) zusätzlich belastet. Insbesondere wurde befürchtet, dass mit dem Inkrafttreten des freien Personenverkehrs zwischen der Europäischen Union (EU) und der Schweiz am 01.06.2002 viele ÄrztInnen aus der EU in der Schweiz eine Praxis eröffnen würden. Trotz Zulassungsstopp konnten die Kantone allerdings nach wie vor gezielt Praxen zulassen, z.B. im Bereich der Grundversorgung.
Im Hinblick auf die Aufhebung des Zulassungsstopps sind die Meinungen geteilt. Besonders die kantonale Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) ist wenig erfreut: Ihrer Ansicht nach geht damit ein wichtiges Steuerungsinstrument der Kantone verloren. Die GDK geht davon aus, dass in den nächsten Jahren deutlich mehr ausländische SpezialistInnen in die Schweiz kommen werden. Diese Zuwanderung werde aber nichts an dem Problem ändern, dass es in der Schweiz außerhalb der Ballungszentren zu wenige Grundversorger gibt. Die Verbindung der Schweizer Ärzteschaft (FMH) nahm dagegen von Beginn an eine kritische Haltung zum Zulassungsstopp ein. Ihrer Ansicht nach war dieser eine negative Botschaft an den Ärztenachwuchs. Das Land habe hierdurch Hausärzte verloren, weil sich junge ÄrztInnen notgedrungen zu Spezialisten hätten ausbilden lassen, statt eine Praxis zu gründen. Laut FMH-Ärztestatistik hat die Anzahl der im ambulanten Sektor tätigen ÄrztInnen seit 2004 trotz Zulassungsstopp kontinuierlich zugenommen. Dies ist auf die nicht konsequente Durchsetzung des Zulassungsstopps durch die Kantone und auf die Anstellung von zusätzlichen ÄrztInnen in bestehenden Arztpraxen zurückzuführen. Möglicherweise wären jedoch ohne Zulassungsstopp mehr SpezialistInnen aus dem EU-Raum zugewandert.
Anstelle des Zulassungsstopps sollen jetzt Managed Care-Modelle gefördert werden. Darunter versteht man Versorgungsmodelle, die die beteiligten Behandlungseinrichtungen miteinander vernetzen und den gesamten Prozess der Leistungserbringung zentral steuern. Dies kann mit oder ohne finanzielle Beteiligung der Leistungserbringer am Versicherungsrisiko erfolgen. Hierdurch sollen nicht nur Kosten eingespart werden. Man möchte auf diese Weise auch die Qualität der medizinischen Versorgung sichern und noch steigern. Solche Modelle werden treffender auch als Integrierte Versorgung bezeichnet. Die Versicherten verpflichten sich hierbei, sich im Krankheitsfall stets zuerst an den gleichen Leistungserbringer (Gatekeeper) zu wenden. Dabei handelt es sich meistens um eine vernetzte Hausarztpraxis oder um eine HMO (Health Maintenance Organization). HMOs sind Gruppenpraxen mit fixem Gesamtbudget, die die Bereitstellung und Finanzierung einer umfassenden medizinischen Versorgung übernehmen. Bei ihnen fällt aufgrund des fixen Gesamtbudgets der Anreiz zur Mengenausweitung weg.
Der Begriff des Managed Care stammt aus den USA, wo bereits um 1930 erste Modelle entstanden. Die Schweiz gilt hier als europäischer Pionier. Schon am 1. Januar 1990 wurde in Zürich-Wiedikon die erste HMO in Europa gegründet. Allerdings haben sich integrierte Versorgungsmodelle in der Schweiz bisher nicht durchsetzten können. Im Jahr 2011 waren nur etwa 15% der Bevölkerung in Managed Care-Modellen versichert. Die vom Schweizer Parlament Ende September 2011 beschlossene Teilrevision des KVG zielt darauf ab, diesen Anteil zu steigern. Versicherte, die nicht in einem Managed Care-Modell versichert sind, müssen sich nun stärker an den Kosten beteiligen. Gegen diese Gesetzesänderung wurde unter dem Motto »Nein zum Managed Care Zwang – Freie Arztwahl für alle« das Referendum[1] ergriffen.
[1]Referendum : In der Schweiz kann das Volk Parlamentsentscheide durch eine Volksabstimmung umstoßen oder bestätigen.
Internetquellen zum Thema
Schweiz
Institutionen mit Funktionen innerhalb des schweizerischen Gesundheitssystems
Überblick über die Organisation des deutschen Gesundheitssystems
Das Gesundheitssystem. Der Staat setzt den Rahmen. Die medizinische Versorgung gestalten die Partner der Selbstverwaltung (Poster, August 2019). Download möglich unter: Link
Zentrale Institutionen des deutschen Gesundheitssystems
Weitere Daten sind auf den Internetseiten der oben genannten zentralen Institutionen des deutschen Gesundheitssystems erhältlich.
Rechtsvorschriften zum deutschen Gesundheitssystem
Das Justizministerium stellt ein Internetangebot zur Verfügung, auf dem alle relevanten Rechtsvorschriften in ihrer jeweils aktuellen geltenden Fassung erhältlich sind: Gesetze im Internet